Schweden und das Corona-Virus - Der andere Umgang mit der Pandemie

Ich habe in den letzten Wochen den „schwedischen Weg“ des Umgangs mit der Covid 19 Pandemie aus der Ferne mit gemischten Gefühlen mitverfolgt. In Schweden gibt es keinen "Lockdown", wie in den anderen europäischen Ländern, sondern eher eine Bremsstrategie. Bis heute sind Versammlungen mit bis zu 50 Menschen erlaubt, die Kitas und die Schulen bis zur 9. Klasse sind geöffnet, genauso wie Restaurants, Bars, Kinos und Fitnessstudios, wer kann, arbeitet im Homeoffice, wer sich krank fühlt, bleibt zuhause.

 

Einerseits war ich ungläubig und zuweilen erschrocken über die vermeintliche Handlungsunfähigkeit der schwedischen Regierung angesichts der Bedrohung durch das Virus, denn wir hatten alle die Bilder aus Italien vor Augen, mit dem Konvoi aus Militärlastwagen, die nachts die Leichen aus der Stadt brachten. Aber hatten wir die Bilder wirklich alle gesehen? Eine Deutsche, die in Schweden lebt, berichtete, dass die Bilder in Schweden nicht präsent waren, sie kannte sie aus dem deutschen Fernsehen. Andererseits hegte ich auch ein wenig Bewunderung für die Unaufgeregtheit der Schweden und die Gewissheit, dass es bei ihnen auch ohne Verbote gehen würde. Das konnte funktionieren, ich kannte die schwedische Mentalität von meinen Arbeits- und Studienaufenthalten in Schweden - niemals hatte ich mich so unumstößlich deutsch gefühlt, wie dort mit Anfang, Mitte zwanzig. Ich bin noch nie so oft gefühlt mit dem Kopf gegen die Wand gelaufen wie damals - teilweise etwas kopfschüttelnd und besorgt von den Schweden dabei beobachtet. In Schweden exponiert man sich nicht als Individuum, man ist es gewohnt, auf das Wohl der Gruppe zu achten - es gilt das sogenannte „Jantelagen“, das Gesetz von Jante. In schwedischen Firmen führt dies und die flachen Hierarchien dazu, dass Entscheidungen länger dauern als bei uns in Deutschland. Das ist für gewöhnlich kein Problem, denn wenn ein allgemeiner Konsens gefunden ist, wird er von allen getragen. Aber ist diese Mentalität in der Krise nicht vielleicht ein Nachteil? Braucht es in der in den letzten Wochen oft beschriebenen „Schockstarre“ in den ersten vier Wochen einer schweren Krisensituation nicht gerade eine klare Hierarchie und die Gewohnheit, Entscheidungen zu treffen, auch wenn sie nicht immer populär sind? Aber wenn das Jantelagen der Grund für den entspannten Umgang der Schweden mit dem Coronavirus ist, warum agieren dann die Dänen und die Norweger so ganz anders? Dort wurden die Grenzen, die Schulen, Kitas und Universitäten noch früher geschlossen als in Deutschland. Das "Janteloven" ist aber auch dort das oberste Prinzip im Umgang miteinander. Dann liegt es doch an etwas Anderem? Bliebe noch die fehlende Erfahrung mit Krisen im eigenen Land. Schweden hat im Gegensatz zu den Nachbarländern keine Besatzungserfahrungen während des zweiten Weltkrieges machen müssen, ist von existentiellen Krisen verschont geblieben.

Aber vielleicht ist der „schwedische Weg“ auch tatsächlich nachhaltiger als die Lockdown-Politik der anderen europäischen Länder. Wie sagte Anders Tegnell, der schwedische Staatsepidemiologe in einem Interview? Sie könnten so notfalls bis 2022 leben, ohne sich Gedanken über Lockerungen machen zu müssen. Und vielleicht relativieren sich im Nachhinein die höheren Todeszahlen in Schweden, weil die Dunkelziffer bei den Infektionen hoch ist, die Pandemie dort also schon weiter fortgeschritten ist als bei uns?

Es hat aus dem Ausland viel Kritik an der Corona-Politik der Schweden gegeben. Ich möchte mich explizit nicht einreihen. Wenn die Pandemie uns wirklich noch bis zu zwei Jahre lang begleiten sollte, was dieser Tage von Wissenschaftlern zu hören war, dann ist man gut beraten, einen Weg zu finden, die Bevölkerung möglichst ohne Zwang auf die veränderte Situation einzustimmen. Nur wenn eine Gesellschaft die Sinnhaftigkeit solcher Maßnahmen akzeptiert, wird sie sie auch mittragen. Spätestens seit der Einführung der Maskenpflicht hierzulande habe ich den Eindruck, dass sich viele Menschen innerlich „ausgeklinkt“ haben. Ich befürworte das Tragen einer Schutzmaske ausdrücklich dort, wo man den erforderlichen Abstand zum Infektionsschutz nicht einhalten kann, zum Beispiel in Bussen und Bahnen. Das Miteinander hat sich seitdem geändert und die Abstände werden oft nicht mehr eingehalten. Das Leben wird (noch) anstrengender. Man kann und sollte den Druck auf die Bevölkerung nicht unnötig erhöhen - die meisten sind auch so schon physisch und psychisch an der Belastungsgrenze.

Da tat es gut, dem schwedischen Ministerpräsidenten Stefan Löfven in seiner Ansprache zum ersten Mai zuzuhören, wie er die Schweden auf ein Miteinander und auf die Verantwortung jedes Einzelnen für sein Land einschwört. Für unsere Ohren klingt das etwas pathetisch und ungewohnt, aber er spricht von Geboten, nicht von Verboten. Wenn ich das Gefühl einer Wahl habe, kann ich mich frei für die Gemeinschaft entscheiden, Verbote provozieren Widerspruch. Die mündigere und freiere Gesellschaft ist im Moment deutlich die schwedische.

Ich hoffe inständig, dass das Kalkül der schwedischen Gesundheitsbehörde aufgeht und sie die Freiheit nicht mit einer zu hohen Sterblichkeit bezahlen.

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